„Sich lediglich einen Hashtag auszudenken, reicht nicht“

Published in IPG Journal

Die iranische Diaspora ist heillos zerstritten. Arash Azizi über das Scheitern der Proteste, den Einfluss aus dem Exil und den Umgang mit Reformern.

Die Fragen stellten Hanna Voss und Alexander Isele.

Die iranische Diaspora ist stark zersplittert und zerstritten. Wie genau ist die Opposition im Exil politisch gespalten? Was sind die Hauptströmungen und welche Widersprüche und Differenzen gibt es?

In der iranischen Diaspora gibt es einige größere Gruppierungen: Da sind einerseits die Monarchisten und Anhänger von Reza Pahlavi, dem ehemaligen Kronprinzen. Einige von ihnen plädieren für die Wiedereinführung der Monarchie. Diese Menschen kann man im politischen Spektrum allgemein dem rechten Flügel zuordnen. Pahlavi selbst gibt sich als Politiker der konservativen Mitte. Unter seinen Anhängern gibt es aber auch rechtsextreme, ultranationalistische und antidemokratische Kräfte.

Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die sich als Republikaner bezeichnen, um sich von den Monarchisten zu distanzieren und um zu betonen, dass die Islamische Republik keine echte Republik sei. Zu dieser Gruppe gehören Sozialisten, Liberale und Zentristen. Außerdem gibt es diverse linke Organisationen. Für einige ist der Feminismus das wichtigste politische Identifikationsmerkmal. Auch sie gehören in der Regel dem republikanischen Lager an. Eine weitere Gruppe sind ehemalige Reformisten – Personen, die der reformistischen Bewegung im Iran selbst nahestanden, bevor diese ins Abseits gedrängt wurde.

Es gibt zwar diese größeren Gruppierungen, insgesamt lässt sich aber festhalten, dass die Iranerinnen und Iraner im Ausland politisch recht unorganisiert sind.

Hat die Diaspora politischen Einfluss im Iran?

Iranerinnen und Iraner im Exil, sowohl in den USA als auch anderswo, sind ihrem Heimatland tief verbunden. Die Diaspora ist fast wie eine weitere Provinz des Iran. In der Vergangenheit war die Diaspora räumlich gespalten: Die iranischen Linken lebten hauptsächlich in Deutschland oder Schweden, die Monarchisten in Großbritannien und in den USA, vor allem in Los Angeles.

Die heutige Diaspora besteht größtenteils aus Menschen, die den Iran in jüngerer Zeit verlassen haben, vor allem nach der Niederschlagung der Proteste im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009. Sie halten starke und enge Verbindungen ins Land, was ihren Einfluss durchaus beachtlich macht. Persischsprachige Fernsehsender im Ausland werden von Dutzenden Millionen Iranern im Land selbst gesehen. Das Gleiche gilt für im Ausland produzierte Musik. Persönlichkeiten wie Pahlavi, Hamed Esmaeilion und Masih Alinejad sind sehr bekannt. Beispiel Masih Alinejad: Von London und später von New York aus konnte sie Millionen iranischer Frauen dazu bringen, sich ihrer Aktion anzuschließen und Bilder von sich ohne Hidschab online zu stellen.

Sind die Iranerinnen und Iraner enttäuscht von der Diaspora, insbesondere nach der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung?

„Enttäuscht“ ist noch sehr milde ausgedrückt: Sie sind nahezu angeekelt. Hätte sich die Diaspora anders verhalten – hätte man sich zusammengerauft, sich richtig organisiert und Organisationen aufgebaut –, hätten wir vielleicht eine Chance auf einen Sieg gehabt, wenn auch eine kleine. Es ist in Ordnung, zu verlieren, wenn man alles gegeben hat. Aber dieses erbärmliche Schauspiel, dass wir offenbar nicht in der Lage sind, zusammenzukommen, ist entmutigend. Die europäischen Regierungen wollten gerne eine iranische Opposition anerkennen, konnten aber keine entsprechend organisierte Struktur vorfinden. Grund dafür ist, dass die unterschiedlichen Oppositionsgruppen übelste Grabenkämpfe gegeneinander führen.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist, dass dies nun der Tiefpunkt sein könnte. Aus dem traurigen Spektakel könnte etwas Positives hervorgehen. Ich persönlich bleibe diesbezüglich aber skeptisch. Viele in der iranischen Diaspora scheinen ein ganz bequemes Leben als Oppositionsaktivisten zu führen. Sie haben Jobs bei Menschenrechtsorganisationen und treten im Fernsehen auf. Warum sollten sie sich die Mühe machen, ernsthaft etwas aufzubauen und sich mit missliebigen Menschen abzustimmen? Warum sollten sie riskieren, die Beziehungen zur Gesellschaft in den Ländern, in denen sie nun leben, zu gefährden oder zu zerstören? Ob sie nun rechts oder links stehen, viele ziehen diesen bequemen Status quo vor. Die Iranerinnen und Iraner im Land sind deswegen desillusioniert. Sie sehen Leute wie mich und denken: „Ja, klasse. Du wohnst da in deinem New York oder Berlin, hast einen guten Job und sprichst gerne und viel über den Iran. Aber effektiv hast du rein gar nichts gegen das Regime getan.“

Seit 2021, mit dem Aufstieg des – im Mai bei einem Flugzeugabsturz gestorbenen – iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi und anderer Hardliner, sind die Reformer im Regime fast vollständig aus dem politischen Prozess ausgeschlossen. Sollte die Opposition auf sie zugehen?

Es ist ein Fehler, sie auszuschließen. Die Reformisten im Iran arbeiten unter harten Bedingungen. Sie haben die letzten Parlamentswahlen boykottiert und setzen sich weiterhin für Veränderungen ein. Während der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung wurden die Reformisten ins Abseits gedrängt. Jeder, der dem Regime kritisch gegenübersteht und bereit ist, mit ihm zu brechen, sollte einbezogen werden, auch konservative Figuren.

Die derzeitige Haltung der Opposition im Exil besteht jedoch darin, jeden infrage zu stellen und auszuschließen, der eine andere Meinung vertritt. Diese ausgrenzende Politik ist absolut kontraproduktiv. Viele von uns haben das gemacht – ohne sich des Schadens bewusst zu sein, den das anrichtet. Wir müssen aufhören, jeden, den wir nicht mögen, als Regimeanhänger zu beschimpfen. Wir müssen unsere Basis verbreitern, statt sie einzugrenzen.

Allerdings scheint es nahezu unmöglich, über die unterschiedlichen Gruppen hinweg einen Konsens zu erreichen. Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen für die iranische Opposition im Exil nach den Aufständen von 2022?

Die iranische Opposition im Ausland sieht sich zwei großen Problemen gegenüber, die es beide auch schon vor der „Frau, Leben, Freiheit“-Rebellion gab. Erstens hat es keinen ernsthaften Versuch gegeben, Organisationen aufzubauen. Bevor sie eine Einigung mit anderen in Erwägung ziehen, müssen Akteure wie Reza Pahlavi, der älteste Sohn des früheren Schahs, nachhaltige und feste Organisationen aufbauen. Er und andere haben das versucht – und sind gescheitert, obwohl sie die Zeit, die Freiheit und auch ein gewisses Maß an Unterstützung aus dem Ausland hatten. Keine Frage: Der Aufbau von Organisationen – seien es politische Parteien, Verbände, iranische Schriftsteller- oder Studierendengruppen – ist schwierig. Es gibt noch zahlreiche Parteien, die aber eher Vereinigungen älterer Menschen aus der 1979er-Generation sind und vielmehr persönliche Verbindungen pflegen, als dass sie als politische Parteien agieren.

Ein anderer Weg, eine starke Oppositionsfront aufzubauen, könnte eine auf einzelne Personen ausgerichtete Politik von oben sein. Dazu müssten die verschiedenen politischen Führerinnen und Führer ihre Differenzen in einigen Schlüsselfragen überwinden und sich zusammenschließen. Sie müssten bei diesen Fragen eine Mittelposition, eine gemeinsame Plattform schaffen, auf die sich möglichst viele iranische Menschen einigen können. Ein vielversprechender Versuch war die Mahsa-Charta, die die sogenannte Georgetown-Allianz im März 2023 veröffentlichte. Darin wird die internationale Isolierung der islamischen Regierung gefordert und es werden gemeinsame Werte für einen demokratischen Iran aufgelistet. Ich unterstützte diese Koalition – auch wenn Pahlavi ihr angehörte – wegen der Betonung der liberalen Demokratie, der Menschenrechte und der territorialen Integrität des Iran. Die Aufgabe der politischen Führer ist es, ihre jeweiligen Anhänger zu vereinen und derartige Allianzen zu bestimmten wichtigen Themen zu bilden, um später dann ihre jeweiligen eigenen Positionen durchsetzen zu können. Das ist das zweite Problem der iranischen Exilopposition: Leider haben sie das bisher nicht geschafft.

Stehen diese beiden Probleme – die mangelnde Organisierung und die Unfähigkeit, Differenzen zu überwinden – im Zusammenhang miteinander?

Die vernünftigen Monarchisten betonen, dass sie das derzeitige Regime beseitigen und dann freie Wahlen abhalten wollen, um eine verfassungsgebende Versammlung zu wählen, die über die zukünftige Regierungsform entscheidet – sei es nun eine Monarchie oder eine Republik. Natürlich läuft es in der Politik nicht immer wie geplant, aber die grundlegenden Fragen sind: Glauben wir, dass die Islamische Republik die nationale Existenz des Iran gefährdet hat? Hat sie den Iran in jeder Hinsicht im Stich gelassen, und müssen wir unser Land trotz unserer Differenzen retten? Können wir zusammenkommen, um das Potenzial des Iran für eine demokratische Zukunft zu erhalten? Die Antwort auf all diese Fragen lautet: Ja!

Auf dieser Basis könnte sich die Opposition im Exil trotz ihrer Differenzen zusammenschließen und gegen das Regime kämpfen, wobei sie sich einig sein muss, dass politische Differenzen erst später ausgefochten werden können. Wenn man Teilnehmende von Demonstrationen in Städten wie Toronto oder Berlin befragt, sind sich 80 bis 90 Prozent der Menschen dort einig, dass es eine liberale Demokratie geben sollte.

Als die Georgtown-Allianz gebildet wurde, bestand die Hoffnung, dass auch Pahlavi die liberale demokratische Vision unterstützen würde, von der er zuvor gesprochen hatte, und dass er eine Einheitsfront für die Demokratie anführen würde. Leider versagte er und konnte seiner Führungsrolle nicht gerecht werden. Er musste sich entscheiden, ob er ein Vertreter der extremen Rechten sein will oder eine breiter agierende, integrativere Figur. Es gelang ihm nicht, sich von der extremen Rechten zu distanzieren, und so verlor er an Schwung. Es ist wichtig, zu betonen, welche Rolle die rechtsextremen Pahlavisten spielen. Sie greifen systematisch jeden in der Opposition an, nicht nur in Form von verbalen politischen Auseinandersetzungen, sondern auch durch organisierte Cybertroll-Armeen. Letztere könnten – zumindest zum Teil – freilich auch vom Regime selbst eingesetzt werden.

Es gibt zahlreiche Parteien, Gruppen und Verbände in der iranischen Diaspora, aber die meisten haben kaum mehr als sechs, sieben Mitglieder. Warum ist es so schwierig, sich zu organisieren?

Eine iranische Besonderheit ist der Umstand, dass es seit den 1950er Jahren, als es das letzte Mal eine repräsentative politische Struktur mit einem richtigen Parlament und mit Parteien gab, keine politische Klasse und keine politische Kultur in diesem Sinne mehr gibt. Als jemand, der sich sein ganzes Leben lang in Organisationen engagiert hat, muss ich darüber hinaus feststellen, dass in meiner Generation die Vorstellung vorherrscht, solche Organisationen seien uncool. Wer will schon ein langes politisches Manifest schreiben, wenn man auch einen coolen Hashtag kreieren kann? Die Idee von eher unstrukturierten, horizontalen Bewegungen liegt weltweit im Trend. Aber es ist eine Illusion, zu glauben, dass eine lose Zusammenkunft an einem Ort wie dem Tahrir-Platz in Ägypten stets auf magische Weise Veränderungen bringen werde. Wir haben gesehen, welche katastrophalen Ergebnisse es geben kann: Diese Menschen haben entweder keine ihrer politischen Ziele verwirklichen können – oder sie haben unbeabsichtigte Resultate erreicht. Sich lediglich einen Hashtag auszudenken, reicht und funktioniert eben nicht.

Aus dem Englischen von Tim Steins

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